Pressedienst: Interview mit Tamir Ginz
16.09.2024
Tamir Ginz über München, den Tanz und die Suche nach Gott
Im Herbst präsentiert Tamir Ginz mit seiner Kamea Dance Company zwei außergewöhnliche Tanztheater auf unserer Bühne. Im Interview verrät der jüdische Choreograf, aus welchem Blickwinkel er das neue Testament sieht, warum der Tanz eine göttliche Kunst ist und warum ihm die Auftritte in München besonders am Herzen liegen.
Im Herbst treten Sie mit Carmina Burana und Matthäus Passion 2727 im Deutschen Theater München auf. Was bedeutet das für Sie?
In Deutschland aufzutreten ist eine Ehre für mich. Meine Produktionen wurden hier immer sehr geschätzt und feierten große Erfolge. Die Kamea Dance Campany hat ihren Sitz in Beer Sheva, der südlichen Hauptstadt von Israel. München und Beer Sheva sind seit kurzem eine Städtepartnerschaft eingegangen. Es ist ein Privileg, im wunderbaren Deutschen Theater aufzutreten. Es bietet den perfekten Rahmen für die beiden Tanzproduktionen. Carmina Burana ist ein festliches und unterhaltsames Stück, das eine breite Masse anspricht. Matthäus Passion 2727 beschäftigt sich intensiv mit der deutschen Kultur und Geschichte. Die Shows bieten für uns die großartige Gelegenheit neue Freundschaften mit dem Münchner Publikum zu schließen.
Die Matthäus Passion ist eine Geschichte aus dem Neuen Testament. Wie gehen Sie als jüdischer Choreograf damit um?
Nun ja, meine Matthäus Passion 2727 stellt die Geschichte gegenüber dem Original auf den Kopf. Es ist eine Hommage an das Neue Testament. Aber als jüdischer Choreograf und Sohn von Holocaust-Überlebenden, habe ich mich entschieden, einen neuen Blickwinkel zu präsentieren. Es ist eine Geschichte über die Freundschaft und Liebe zwischen Jesus und Judas, in der beide gleichberechtigte Opfer des menschlichen Bedürfnisses sind, sich selbst einen Gott zu kreieren. Ich zeige auf der Bühne eine Welt, die ratlos ist und auf einen guten Führer wartet, was auch heute topaktuell ist.
Das Stück hat visuell schöne Szenen, die aussehen als wäre man in einem Museum. Ich gestalte die Choreografie jedoch so, dass die Bilder gleichzeitig an den Holocaust erinnern. Die Geschichte spielt in der Zukunft, in tausend Jahren. Sie handelt von dem Bedürfnis nach Liebe zwischen den Menschen, dem Bedürfnis nach Heilung und Frieden und dem Zusammenkommen. Es ist das Werk, auf das ich am meisten stolz bin. Das Publikum wird mitgerissen von einem Zeremoniell, das in seiner Tiefe heilig und hypnotisierend ist.
Worauf kann man sich freuen?
Die Stärke meiner Choreografie ist, dass sie gleichzeitig dramatisch und elegant ist und eine direkte Kommunikation ermöglicht. Wer die Stücke sieht, durchläuft eine persönliche emotionale Reise. Es ist nicht wie bei einigen abstrakten, performativen oder zeitgenössischen Tanzstücken, bei denen man schnell den Faden verliert, denn man kann seine eigene Geschichte in den Werken finden. Ich denke, dass sowohl 18-Jährige als auch 80-Jährige die Produktionen lieben werden.
Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihren Tanzproduktionen?
In meinen Choreografien geht es um Gefühle und Geschichten über die menschliche Seele und den menschlichen Zustand. Ich bin ein sehr emotionaler Charakter und als Künstler ein Exhibitionist. Ich teile meine großen Stürme emotional durch meine Kunst. Meine Arbeiten entstehen immer aus der emotionalen Situation heraus, die ich erforschen möchte. Aber schließlich ist Tanz eine Bewegung, die in Körpern entsteht, und als solche möchte ich die körperlichen Fähigkeiten und das tanztechnische Können der Kompanie herausfordern, damit das Publikum die Ausdruckskraft des Körpers, seine Akrobatik, seine Schönheit und Eleganz kennenlernt.
Sie sind schon ihr ganzes Leben mit dem Tanz verbunden. Was ist das Besondere an dieser Kunstform?
Meine Ideen und Geschichten übersetze ich in abstrakten Tanz. Ich liebe es, dass er dem Publikum die Freiheit gibt, ihn auf individuelle Weise zu erleben. Bei der Kompanie ruft das Tanzen eine enorme Freude in Körper und Geist hervor. Die Tanzenden machen Kunst mit ihren eigenen Körpern, nicht mit Musikinstrumenten, Requisiten, Worten oder Leinwänden. Tanz ist rein. Man arbeitet, um Emotionen mit Gottes grundlegender Schöpfung – dem menschlichen Körper – auszudrücken. Wie Martha Graham sagte, sind Tänzer „Akrobaten Gottes”.
Carmina Burana können Sie am 29. und 30. Oktober im Deutschen Theater sehen. Matthäus Passion 2727 läuft am 1. und 2. November. Die Produktionen werden durch das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, das israelische Generalkonsulat und das Kulturreferat der Landeshauptstadt München gefördert.
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